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Golderer, Josef

Josef Golderer (*1960 bei Köln) lebt heute in Köln. Studium der Philosophie, Germanistik und Rechtswissenschaften, Veröffentlichungen von Gedichten in diversen Anthologien, praktiziert seit vielen Jahren die japanische Kampfkunst Aikido und Zen, sucht das Leben beobachtend und schreibend zu gestalten, seine Haiku-Dichtung bildet eine Schnittstelle dieser verschiedenen Ansätze.

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Hörproben aus »Lavendelduft & Regenschatten«

Lavendelduft und Regenschatten – drei Haikus

Interview mit Josef Golderer zu seinem Buch »Lavendelduft & Regenschatten«

Lieber Herr Golderer, soeben ist ihr Gedichtband »Lavendelduft und Regenschatten« erschienen.
In einem Satz: Was erwartet die Lesenden?

Josef Golderer: Die Leserinnen und Leser erwartet eine Reise durch ein Jahr voll aufgezeichneter Beobachtungen, in die poetische, minimalistische Form eines Haiku gegossen – begleitet von den wundervollen Miniaturen und Illustrationen von Kornelius Wilkens.

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Ihre Gedichte sind in der Form des Haikus verfasst. Was fasziniert Sie an dieser traditionellen japanischen – recht kurzen – Gedichtform, die aus drei Zeilen und 17 Silben besteht?

J. G.: Zunächst einmal fasziniert mich die unmittelbare Nähe, die der Inhalt eines Haikus zur Wirklichkeit – oder dem Bild einer Wirklichkeit im Kopf – darbietet. Das heißt, es setzt eine genaue wertungsfreie Beobachtung der Welt – oder auch der eigenen Gedanken – voraus, eine Gabe, die in meinem Fall in diesem doch langen Zeitraum geschult wird. Aber zur Kunstform wird das Haiku erst dann, wenn es gelingt, in dieser Form der Beobachtung inhaltlich noch etwas anderes einfließen zu lassen, ein Surplus, was über den eigentlichen Wortsinn hinausweist. Wenn es gelingt – und den großen Meistern wie Matsuo Bashō ist es ganz vortrefflich geglückt – dann zeigt sich darin eine Spur von dem, was in der Zen-Philosophie als nicht beschreibbar, sondern nur erfahrbar gelehrt wird: Jenseits unseres weltalltäglichen Chaos, der Fülle der Erscheinungen, dem Wandel im Werden und Vergehen unterworfen, vermag sich eine feine Leuchtspur zum Sein jenseits unserer Wahrnehmungen anzudeuten. Indem man den flüchtigen Moment und das rechte Wort in der rechten Stimmung nach der rechten Beobachtung festhält, vermag etwas vom „Unverborgenen“ aufzuscheinen, das in der Welt immer schon vor uns liegt, aber auch darüber hinausweist. „Nur die Natur ist göttlich und ist es nicht“ – schreibt Fernando Pessoa in seinem Zyklus „Der Hüter der Herden“, über einen Meister des Nichtwissens. Und diese Position des Nichtwissens, des reinen Schauens, ist im Haiku zu erreichen, dann fügen sich die Worte aus dem Lärm der Zeit in einen Raum der Stille zueinander.
Vielleicht kann man auch so sagen: Ein Haiku ist ein Pflock, eingeschlagen in der Wüste des Chaos, um eine Grenze zum Wesentlichen zu markieren.
Die Sprache des Haiku ist in der japanischen Tradition „nicht romantisch. Es träumt nicht ein Lied in allen Dingen“. Es ist „sprachlich oft spröde“. So charakterisiert Masami Ono-Feller diese Kunstform. In Übersetzungen allerdings findet sich oft mehr Rhythmik und Poesie, eine Tendenz zur Metaphorik. Darin zeigt sich mir, dass dies vielleicht unserer westlichen Tradition vertrauter ist. Diese poetisch intensivere Form ist auch meinem Denken und Schreiben näher und daher Teil meiner Wirklichkeit. Daher zeigen sich wohl auch in meinen Haikus teils poetischere Bilder und Stilmittel, die eben dies sind: Teil meiner höchstpersönlichen Realität.

Für Ihren Gedichtband haben Sie 366 Haikus geschrieben – an jedem Tag des Jahres einen. Wie entstand die Idee zu diesem Lyrik-Projekt?

J. G.: Die Idee entstand auf Anregung eines sehr guten Freundes von mir, Martin Ross, einem Wiener Philosophen und langjährigem Dozenten für Ästhetik und Kunstphilosophie. Wir beide haben uns oft zum Schreiben herausgefordert und spielerische Wettkämpfe geliefert. Nachdem ich ein paar Haikus geschrieben hatte, schlug er mir vor, das über ein ganzes Jahr täglich zu tun. Auf meine Bedenken, ob ich das durchhalte, antwortete er mit dem berühmten Diktum: „Yes, you can!“. Und das war die erste Initialzündung zu dem Projekt. Leider ist Martin Ross im Verlauf des Haiku-Jahres überraschend und viel zu früh gestorben. Aber das war auch die zweite Zündung für mich, diese Herausforderung durchzuhalten. Natürlich ist das Buch ihm gewidmet. Unbedingt.

Eine zweite Anregung stammt aus der Zeit der Corona-Epidemie: Ich war Teil einer Gruppe von wunderbaren, philosophie- und literaturinspirierten Menschen, die sich spätabends über Videokonferenz getroffen haben, um bis in die Nacht philosophische und literarische Texte zu lesen und darüber mit kühlem Kopf und heißem Herzen zu debattieren. Eines dieser Werke war das bekannteste von Matsuo Basho, „Auf schmalen Pfaden ins Hinterland“, eine poetische und abenteuerliche Reisebeschreibung im Japan des späten 17. Jahrhunderts, in denen sich Haikus als wesentlicher Teil der Reflexion der Eindrücke organisch einfügen. Da besonders entstand der Wunsch, Haikus als Ausdruck eigener Erfahrung zu schreiben.

Gibt es in Ihrem Band ein Haiku, das Ihnen besonders am Herzen liegt? Welches ist es und warum?

J. G.: Es gibt einige Haikus, die mir sehr am Herzen liegen, weil sie mit einer höchstpersönlichen Erfahrung besonders in Resonanz gehen. Etwa das vom 30. Januar, angesichts eines immer und immer wiederkehrenden Streits irgendwo in diesem Haus an einem trüben Wintertag. Mir schien es wirklich, als ob mit dem Schall auch Tränen durch die Wände drängten.

Besonders erwähnen möchte ich dieses Haiku:

Sprachlos im Feuchten
steht der Park – bis die Rosen
nach Bergwind duften
(12. Mai 2023)

Dieses Gedicht aus der Endphase des Jahreskreises ist das erste einer Reihe von Ketten-Haikus, die von hier aus bis zum Ende noch einmal die Form strenger werden lässt. Die letzte Zeile des Haikus ist ab hier immer die erste Zeile des folgenden, bis sich zum Schluss die letzte Zeile als Anfangszeile des ersten Haikus der ganzen Sammlung erweist. Der Kreis hat sich geschlossen. Anfang und Ende verschwinden, diese Begriffe selbst erweisen sich als obsolet.

Übrigens waren Haikus ursprünglich immer Teil sehr langer Kettengedichte, sogenannter „Renkus“, für den Meister Matsuo Bashō das eigentliche Rückgrat der Haikudichtung.

Haben Sie Vorbilder die Sie inspirieren? Wenn ja, wer und warum genau? (Das muss nichts mit Schreiben zu tun haben.)

J. G.: Als Vorbild für die Haiku-Dichtung sei nicht überraschend der von mir schon mehrfach erwähnte Matsuo Bashō genannt. Neben vielen Inspirationsquellen seien vor allem all die vielen unbekannten Verfasser von Haikus, Gedichten und anderen poetischen Texten genannt, die trotz Widrigkeiten und mancherlei Alltagsverpflichtungen und Bedrängungen im Leben schreiben und an die Kraft und Schönheit der Poesie glauben.

Gibt es etwas, das Sie zum Abschluss unseres Gesprächs noch sagen wollen?

J. G.: Wenn es mir mit meiner Sammlung gelingen sollte, ein wenig vom Geist der Haikudichtung in die Herzen der Leserinnen und Leser zu übertragen, dann wäre mir das eine große Freude – noch mehr vielleicht, wenn es die eine oder den anderen anregen sollte, sich selbst einmal an so einer kleinen Dichtungsform zu versuchen oder auch an einer anderen Art.
Es kann unendlich lebensbereichernd sein: Schreibt, Leute!

Vielen Dank für das Gespräch.

 

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