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Haushofer, Ingrid

Ingrid Haushofer wuchs in Oberfranken auf und kehrte nach dem Studium der Germanistik und Romanistik in Würzburg, Toulouse und Wien in ihren Geburtsort zurück, wo sie seit 1979 wieder lebt. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Nach Jahren der Tätigkeit als Gymnasiallehrerin arbeitet sie seit 2005 auch in eigener psychotherapeutischer Praxis und engagiert sich in der Hospizarbeit und in der Erwachsenenbildung. Sie hat in Anthologien und literarischen Zeitschriften veröffentlicht und zahlreiche Lesungen abgehalten. Ihre Lyrik wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Fedor-Malchow-Gedächtnispreis des Schriftstellerverbandes Schleswig-Holstein und mit dem Lyrikpreis von San Donato in Italien.

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Interview mit Ingrid Haushofer zu ihrem Buch »Und immer zu groß die Sehnsucht«

Liebe Frau Haushofer, soeben ist ihr neuer Gedichtband „Und immer zu groß die Sehnsucht“ erschienen. Was erwartet die Lesenden?

Ingrid Haushofer: Marcel-Reich Ranicki hat gesagt: „Die Literatur hat eigentlich nur zwei Themen: Die Liebe und den Tod.“ Ich denke, diese Aussage beinhaltet eine tiefe Wahrheit, und ich würde hinzufügen: Das ganze Leben bewegt sich letztlich zwischen diesen beiden scheinbaren Gegensätzen, die doch zusammen die Ganzheit des Daseins bilden. In meinem ersten Lyrikband geht es um unsere Vergänglichkeit, unser Leben hin auf den Tod. Die Gedichte des zweiten Bandes umkreisen, wie in einer Suchbewegung, die Liebe; sie ist der Gegenpol des Todes, denn Liebe meint Ewigkeit. Es ist ein Buch für Liebende und zeigt das Glück, aber auch die Leiderfahrung, die beide zusammen eine große Liebe ausmachen.

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Für mich als Leserin haben Liebesgedichte einen ganz besonderen Reiz und so reihen sich eine Vielzahl solcher Bändchen auf meinem heimischen Bücherbord. Haben Sie auf diesem Gebiet selbst Lieblingswerke?

I. H.: Liebesgedichte finden sich bei fast allen Lyrikern, und natürlich sind mir viele nah und vertraut, allen voran die Gedichte des unvergleichlichen Rilke. Hervorheben möchte ich ferner die Gedichte von Ingeborg Bachmann und Paul Celan, in denen sich ihre schwierige Liebesbeziehung spiegelt. Außerdem, vielleicht weniger bekannt, aber schier überwältigend in der Kraft und Kühnheit der Bilder und Worte, die Liebesgedichte von Else Lasker-Schüler, und die Texte der Liebesmystik von Rumi. Es gibt auch ein paar Prosastücke, die in fast verdichteter Form wuchtige, tiefe und berührende Aussagen über die Liebe enthalten: so bei Khalil Gibran, Robert Schneider (besonders in „Die Luftgängerin“ und in „Schatten“) und in Christa Wolfs brillantem Prosastück „Kein Ort. Nirgends“ über Karoline von Günderode, die auch eine große Liebende war.

Kürzlich auf einer Lesung berichtete der Autor, dass er teilweise bis zu sechs Jahre an einem Buch arbeitet und mindestens drei komplette Überarbeitungen anfertigt. Wie darf ich mir Ihren Schreibprozess vorstellen? Wann ist ein Gedicht „fertig“?

I. H.: Es ist sicher ein großer Unterschied zwischen der Arbeit an einem Prosastück und dem Schreiben von Gedichten. Gedichte sind nicht machbar, nicht verfügbar, auch nicht mit Fleiß und Disziplin, die bei erzählender Literatur vonnöten ist. Sie formen sich, zunächst unbemerkt, in der Tiefe, drängen irgendwann ins Bewusstsein und werden dann, wie in einer Art Geburtsvorgang, zu Papier gebracht. So jedenfalls ist es bei mir. Dann sind sie im Grund fertig, und das Feilen daran bezieht sich eher auf Einzelheiten. Voraussetzung für diesen kreativen Akt sind Konzentration, Bei-sich-Sein und eine Fähigkeit zu vertieftem und verdichtetem Erleben und Fühlen.

Was von allem, was kürzlich in der Welt passiert ist und direkt oder indirekt erlebt wurde, hat Sie nachhaltig beeindruckt und entwickelt sich für Sie hieraus die Notwendigkeit eines literarischen Ausdrucks?

I. H.: Durch die modernen Medien sind wir sehr vielen Eindrücken ausgesetzt, so vieles stürmt auf uns ein. Dabei sind es immer wieder die Schicksale von Menschen, die bewegen und berühren, auch mich – in jüngster Zeit zum Beispiel die Menschen an der polnisch-weißrussischen Grenze, ihr Mut, ihre Verzweiflung, ihre Tapferkeit. Es sind die Bilder von Flucht, von Krieg, von Armut und Katastrophen, das Leid, die Ausweglosigkeit und doch immer wieder die Hoffnung der Menschen, die mich erschüttern. Es gibt auch Gedichte von mir, wo dieses Erleben Ausdruck gefunden hat. Aber sie verarbeiten nicht äußere Ereignisse, sondern Erfahrungen – eigene und die anderer Menschen, mit denen ich fühle.

Was möchten Sie zum Abschluss unseres Gesprächs noch sagen?

I. H.: Nicht wenige Menschen haben eine Scheu vor Gedichten; sie halten sie für schwer verständlich. Diese Angst möchte ich gerne nehmen, und es zählt zu meinen schönsten Erfahrungen, wenn Zuhörer mir nach einer Lesung sagen: „Ihre Gedichte haben mir nicht nur gefallen. Ich habe sie verstanden.“ Auch wenn manches tatsächlich mit dem Intellekt nicht aufzuschlüsseln ist und dunkel bleibt, so gibt es doch ein tieferes Verstehen mit dem Herzen oder der Seele. Es kann sich ereignen, wenn man sich auf die Bilder einlässt und sich von den Worten berühren lässt. Dabei kommt es nicht darauf an, alles „zu verstehen“ – wichtig ist nur das, was mich ganz persönlich anspricht, trifft, was mich aufhorchen lässt, was etwas in mir auslöst und zum Klingen bringt. Eigene Erinnerungen, Erfahrungen stehen auf einmal, in Worten und Bildern ausgedrückt, vor mir. „Genauso habe ich das erlebt und gefühlt, ich konnte es nur nicht in Worte fassen“, sagen manche Leser. Das sind Erfahrungen von Erkennen, die sehr beglückend sein können. Und darum bin ich froh, dass ich Gedichte schreibe, denn sie sind die literarische Form, in der man Menschen am direktesten, am tiefsten erreichen und etwas in ihnen wachrufen kann. Dann ist das Gedicht nur zur Hälfte das des Autors – der andere und wichtigere Teil ist der des Hörers, der das Gedicht in sich hineinnimmt und es sich zu eigen macht.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

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Interview mit Ingrid Haushofer zu ihrem Buch »Heimwärts«

Liebe Frau Haushofer, in Ihrem Gedichtband widmen Sie sich der letzten Etappe des Lebenswegs, dem »dritten Lebensalter«. Was genau bezeichnen Sie mit dem »dritten Lebensalter«?

Ingrid Haushofer: Der Begriff stammt eigentlich aus dem Französischen und Italienischen und ist die Übersetzung von »le troisième àge«, »la terza età«, der, wie ich finde, sehr treffend die letzte Lebensspanne als die dritte nach Kindheit/Jugend und Erwachsenenalter benennt. Nach dem Weg in die Welt, ins Leben in der ersten und dem Wirken im Leben, dem Gestalten der Welt in der zweiten Phase tritt man, wenn die Berufstätigkeit abgeschlossen ist und Kinder selbstständig sind, in einen Zeit-Raum ein, wo man sich wieder mehr auf sich selbst besinnen, sich bewusster und tiefer mit sich selbst und den Grundfragen der Existenz auseinandersetzen kann. Es ist ein Weg »zu den Quellen des Seins«. C. G. Jung bezeichnet diese Phase als Individuation. 

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In Ihren Texten geht es um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Lebensweg. Können Sie das weiter ausführen?

I. H.: In den ersten beiden Lebensetappen ist der Focus auf das »Außen« gerichtet und der Blick geht nach vorn, ist zukunftsorientiert. Im dritten Lebensabschnitt ist Zeit und Raum für Ruhe, Reflexion und Besinnung. Es ist vielen Menschen ein ganz selbstverständliches Bedürfnis, das eigene Leben noch einmal Revue passieren zu lassen, nachzudenken und nachzuspüren, was war, wie es war, wie alles geworden ist und zusammenhängt und wie es mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich jetzt bin. Natürlich ist das nie so strikt getrennt, sicher kommt man während des gesamten Lebens immer wieder an Punkte, wo man die eigene Situation reflektiert und Bilanz zieht. Deshalb kann das Buch natürlich auch jüngere Menschen ansprechen.

Sie betrachten Ihr Leben aus einer christlich-spirituellen Grundhaltung heraus. Spiritualität ist – ähnlich wie Achtsamkeit – ein Begriff, der heute in sehr vielen Zusammenhängen Anwendung findet. Was bedeutet spirituell/Spiritualität für Sie?

I. H.: Spiritualität ist für mich eine Grundhaltung, die das Leben nicht vordergründig, eindimensional und ausschließlich diesseitig begreift, sondern es eingebunden sieht in eine große, allumfassende Kraft. Diese Erfahrung zuzulassen und diese Grundhaltung einzuüben, auch durch eine Praxis der Meditation, ist für mich gelebte Spiritualität. Dazu gehört es, die Einsichten der Mystiker, die es in allen religiösen Traditionen gibt, zu bedenken, in geduldiger Übung mich immer wieder zu verbinden mit jener großen Kraft, dafür offen und durchlässig zu werden, und aus dieser Haltung heraus achtsam und bewusst in Liebe und Verantwortlichkeit meinen Alltag, mein Leben zu gestalten. Wichtig ist, sich klar zu machen, dass diese Kraftquelle nicht irgendwo außen, sondern in meinem Innersten ist, und wichtig ist ebenso zu wissen, dass ich es nie »habe«, sondern es mir immer wieder »an-eignen« muss.

Ihre Gedichte inspirieren dazu, das eigene Lebens-Alter zu reflektieren. Sie setzen Impulse und machen Mut, sich auch mit schwierigen Erlebnissen und Fragestellungen zu befassen. Gibt es bestimmte Orte, Situationen und Menschen, die Sie in besonderem Maße inspirieren und die Ihnen Mut machen?

I. H.: Diese schwierigen Erfahrungen, die Sie ansprechen, gibt es in jedem Leben; immer sind sie eine Herausforderung und verlangen uns vieles ab. Aber schon im Wort selbst wird deutlich, dass auch eine Chance darin steckt: Sie fordern uns heraus aus unseren Gewohnheiten, Sicherheiten, aus dem Selbstverständlichen, wo wir uns – und das ist legitim und keineswegs zu verurteilen – oft gut eingerichtet haben. Das, was uns da herausruft oder auch herausreißt, ist unbequem, manchmal schmerzlich. Aber es lässt uns wachsen. Ich hatte und habe das Glück, immer wieder Menschen zu treffen und um mich zu haben, die in ihrer Grundhaltung von Tapferkeit, Mut, Wahrhaftigkeit und Liebe inspirierend und stärkend sind. Es geschieht so viel Gutes, ganz unspektakulär im Alltag, oft im Verborgenen. Das motiviert mich und macht mir Mut.

Ihre berufliche, aber auch ehrenamtliche Tätigkeit ist geprägt von der Arbeit mit Menschen. Ob in der psychotherapeutischen Praxis, der Hospizarbeit oder der Erwachsenenbildung. Welche Erfahrung(en) waren in diesem Zusammenhang besonders wichtig für Sie?

I.H.: Wenn ich – zum Beispiel in der Hospizarbeit oder in der Therapie – erlebe, was Menschen aushalten und erleiden müssen und dann sehe, wieviel Tapferkeit, Mut und innere Größe sie entwickeln; wie sie trotz allem immer wieder die Kraft aufbringen, aufzustehen und weiterzumachen und Hoffnung und Vertrauen neu zu beleben – das finde ich stets von Neuem bewegend und ergreifend. Ebenso berührend ist es zu erfahren, dass es Menschen gibt, die anderen mit Liebe begegnen, sodass in ihnen Hoffnung und Vertrauen – in das Leben, in andere Menschen, vor allem aber auch zu sich selbst – neu entstehen und wachsen kann: das zählt für mich zum Wunderbarsten meiner Erfahrungen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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