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Biró, Christine

Christine Biró, Jahrgang 1960, hat an der LMU München Kunstgeschichte, Sozialpsychologie und Philosophie studiert. Nach ihrem Magisterabschluss führte ihr Weg in den Journalismus. Sie arbeitete 15 Jahre lang als Print-Redakteurin für verschiedene Zeitschriftenverlage, publizierte eigene Beiträge und leitete Ressorts. Aktuell engagiert sie sich im Rahmen eines Projekts des Innenministeriums für die Integration von Geflüchteten. Nebenbei widmet sie sich ihrer Leidenschaft, dem kreativen Schreiben. Sie lebt und arbeitet in Landsberg, nahe München.
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Interview mit Christine Biró zu ihrem Buch »Die Rache des Karpfens«

Soeben ist ihr Buch »Die Rache des Karpfens« erschienen. In einem Satz: Was erwartet die Lesenden?

Christine Biró: Sie begeben sich auf die Reise zu einem untergegangenen Kontinent – betreten fremde Erlebnisräume und werden Zeugen einer Emigration im doppelten Sinne: einer persönlichen und einer politisch motivierten.

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Ihr Buch beleuchtet nicht nur persönliche Erlebnisse, sondern auch ein wichtiges Kapitel europäischer Geschichte. Warum möchten Sie, dass Leserinnen und Leser mehr über das Leben in einer Diktatur erfahren – welche Lehren sind daraus zu ziehen?

C. B: Das Aufwachsen in einem totalitären System – ob rot, braun oder religiös gefärbt – bedeutet im Spannungsfeld von Macht und Ohnmacht seine Existenz zu fristen, ohne Entfaltungsmöglichkeiten. Ich denke, dass dort, wo persönliche Lebensereignisse mit den geschichtlichen verschmelzen, die Schneise der Verheerung erst sichtbar wird. Mit einer anderen Intensität, einer anderen Schlagkraft, als wenn man in einem Geschichtsbuch über das Leben im kalten Krieg nachliest. In Freiheit zu leben ist ein Luxus, der mit nichts aufzuwiegen ist. Themen wie Aufbruch und Ankommen in der Fremde, Ausgrenzung von Minderheiten und der Wunsch nach Zugehörigkeit, sind heute aktueller denn je.

Was hat Sie dazu bewogen, eine autobiografische Erzählung zu verfassen, und wie haben Sie die Balance zwischen persönlicher Erinnerung und erzählerischer Freiheit gefunden?

C. B: Nach knapp 50 Jahren begannen meine Erinnerungen zu verblassen. Ich befürchtete, sie könnten verschwinden, doch immer noch sträubte sich alles in mir, in die Heimat zu fahren: Die Wirklichkeit könnte alles überdecken! Ich hütete meine inneren Bilder, meine Zufluchtsorte, die immer kostbarer wurden. Ich musste sie bewahren. Im ersten Entwurf schrieb ich einzelne Ereignisse auf, erfand jedoch nichts hinzu. Vielmehr war es ein intensives Nachspüren, ein Ringen um die Wahrhaftigkeit des Erlebten, wohl wissend, dass die Erinnerung als kreative Denkleistung einem stetigen Wandel unterworfen ist. Über die Ausgestaltung des Buchkonzepts fand ich dann zu eigenen Lösungsansätzen und erzählerischen Freiheiten.

In Ihrem Buch wird deutlich, dass die strengen moralischen Vorstellungen Ihrer Mutter und deren eigene Traumata großen Einfluss auf Ihr Leben und Ihr Aufbegehren hatten. Welche Rolle spielte diese Beziehung für den Prozess ihrer eigenen Identitätsfindung?

C. B: Eine wesentliche Rolle. Lange Zeit habe ich sie innerlich abgelehnt – ich wollte niemals so werden wie sie! Dass sie das Trauma ihrer Kriegsgefangenschaft zu bewältigen versuchte, ohne fachliche Hilfe, konnte ich damals nicht erkennen. Umso mehr verehrte ich meinen Vater als positive Figur, er war mein Vorbild. Bis ich in der Pubertät dahinterkam, dass auch er nicht der Held war, für den ich ihn hielt. Ich denke, ich bin durch meine Lebensjahre gegangen wie mit dem Einkaufskorb durch einen Supermarkt: Ich bediente mich der Wesenszüge bewundernswerter Menschen, auf die ich traf. Reale Personen wie mein Kindermädchen, mein Kunstlehrer oder mein Großvater, oder Romanfiguren wie Monte Christo.

Wie steht es denn um die heutige Pastorentochter und die Religion – sind sie ein gläubiger Mensch?

C. B: Es war ein langer Weg der Standortbestimmung, aber unumgänglich. Nachdem ich mir die Freiheit genommen habe, alle Zäune einzureißen und die verbotenen Früchte zu kosten, kann ich sagen: Ja, ich glaube an einen Schöpfer, den größten Freigeist überhaupt, der Freiheit und Liebe verkörpert. Aber ich fühle mich keiner Religionsgemeinschaft zugehörig.

Hat sich durch den Schreibprozess etwas verändert – konnten Sie neue Erkenntnisse gewinnen?

C. B: Neben der Freude am Schreiben war die Arbeit an meiner Biografie die Aussöhnung mit der Vergangenheit schlechthin. So manches, was ich verstanden glaubte, wurde mir erst im Schreibprozess – durch die Versprachlichung von Ereignissen und Gefühlen bewusst. Eine Katharsis im besten Sinne. Dass ich meiner 95-jährigen Mutter noch zu Lebzeiten einige Passagen vorlesen und mit ihr darüber lachen konnte, tat uns beiden gut. Ich kann nur dazu ermutigen: Schreiben bedeutet Ballast abwerfen; man braucht dafür nur Stift und Papier.

Vielen Dank für das Gespräch.

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