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Pohl, Gerrit

Gerrit Pohl, geboren 1943 in Goslar, lebt als freier Schriftsteller, Übersetzer und Fotograf in Hamburg. Längere Aufenthalte in den USA, England, Indien und Italien hinterließen prägende Eindrücke in seinen erzählenden Texten.
Seit den 90er Jahren sind von ihm verschiedene Gedichtbände, Übersetzungen und ein Roman erschienen. Seine Prosa und Gedichte erkunden die Spannungsfelder zwischenmenschlicher Beziehungen.

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Interview mit Gerrit Pohl zu seinem Buch »Hochbahn – Geschichten aus dem Untergrund«

Lieber Herr Pohl, soeben ist Ihr Buch »Hochbahn – Geschichten aus dem Untergrund« erschienen. Was erwartet die Lesenden?

Gerrit Pohl: In meinen kleinen Dramen und Komödien bringen flüchtige Zufälle einander unbekannte Menschen zusammen. Bei ihren Begegnungen geht es um Ereignisse, die unerwartete Erfahrungen mit sich bringen. Verwirrende, komische, traurige, ärgerliche, schöne.

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Eine Frage, die mich immer interessiert: Wie darf ich mir Ihren Schreibprozess vorstellen?

G. P.: Nur wenige dieser Erzählungen spiegeln Erlebnisse, die tatsächlich so passiert sind. Ich fange Teile von Unterhaltungen auf und aus ihnen entwickeln sich die Episoden, die sich in den Dialoggeschichten finden. Der Schreibvorgang selber verläuft nie gleich. „Das Feuerzeug“ war in einem Guss morgens um fünf innerhalb von zwei Stunden fertig geschrieben, „Coeur de Lion“ innerhalb von zwei Tagen. Erzählungen, die sorgfältig recherchiert werden mussten, wie „Der Stationsvorsteher“, entstanden abschnittsweise innerhalb von Wochen. Ich habe dabei keine einheitliche Herangehensweise. Die Themen kommen eher auf mich zu, als dass ich sie im Voraus plane. Stilistisch bewege ich mich bewusst auf unterschiedlichen Ebenen. Wortwahl wie Satzbau passe ich den Personen und der Situation an, die ich schildern möchte. Die Gruppierung der Erzählungen in drei Bereiche habe ich erst ganz zum Schluss vorgenommen. Prinzipiell lege ich jede fertige Geschichte zunächst solange beiseite, bis ich kritischen Abstand zu ihr gewonnen habe. Das hilft mir oft, Sätze neu zu formulieren, Passagen zu straffen oder ganz zu verwerfen.
Die Handlungen und Figuren in Ihrem Buch bewegen sich ausschließlich in Hamburg, genauer, in der Hamburger Hochbahn und ihrem Umfeld. Was hat Sie dort am meisten angeregt? Ich habe in vierzig Jahren unterwegs in der Hochbahn erlebt, welch bunte Vielfalt sich täglich auf die Fahrt begibt. Quirlige Schulkinder, eher schweigsame Berufspendler, außerhalb der Schul- und Bürozeiten und in der Nacht Touristen und ganz unterschiedliche Gruppen unternehmungslustiger Menschen. Viele hängen erkennbar ihren stillen Gedanken nach, und das macht mich neugierig auf sie. Was denken sie? Was beschäftigt sie, wo kommen sie her, wo wollen sie hin? Ich versuche zu erahnen, wer sie sind.
Leider nimmt das allgegenwärtige Smartphone seit langem viele Menschen so in Anspruch, dass sie kaum noch etwas von sich ausstrahlen. Aber manchmal werden auch sie, wie in den Situationen von „Springer“ und „Plattform“, mit unerwarteten Begebenheiten konfrontiert und müssen sich mit der Wirklichkeit des Augenblicks beschäftigen.

Was von allem, was in der Welt geschieht und direkt oder indirekt erlebt wurde, hat in Ihnen die tiefsten Spuren hinterlassen?

G. P.: Eine schöne Kontrafaktur des berühmten Descartes-Satzes! Ja, ich darf wohl sagen: auf die Sprache zu hören, das ist mein Wesenskern! Der Stoff hierfür findet sich überall. Die Welt führt uns in einen so ungeheuerlichen Mikrokosmos hinein, den wir mit unseren Sinnen und unserem Sinn wahrnehmen, das heißt beachten, empfinden und würdigen können. Die Sprache ist für mich der Raum, um in diesem Kosmos darin zu sein, in seinem Bewusstsein, das auch mein Bewusstsein ist, wie in einem großen gemeinsamen Körper.

Was von allem, was in der Welt passiert und direkt oder indirekt erlebt wurde, hat in Ihnen die tiefsten Spuren hinterlassen?

G. P.: Ich bin ein politischer Mensch, und die Entwicklungen der letzten Jahre machen mich sehr betroffen. Die Verwerfungen in unserer Gesellschaft, die zunehmende Entsolidarisierung und Radikalisierung, und zu erleben, wie demokratiefeindliche Systeme erstarken und ein eigentlich für unmöglich gehaltener Krieg in nächster Nachbarschaft tobt, stellen für mich ernsthafte Bedrohungen dar. Hinzu kommt die viel zu zögerliche Haltung vieler Regierungen gegenüber unserer wichtigsten Zukunftsfrage, der Bewältigung der Klimakrise. Demgegenüber verblasst geradezu, was Corona unter uns angerichtet hat.

Was möchten Sie zum Abschluss unseres Gesprächs noch sagen?

G. P.: Auch wenn das eben Gesagte nicht danach klingt, bewahre ich mir doch einige Zuversicht. Und ich hoffe, dass unser schönes neues Buch viel Zuspruch findet. Wer weiß, vielleicht entdecke ich es irgendwo in den Händen eifriger Leser während einer U-Bahnfahrt wieder. Auf deren Gesichter bin ich sehr gespannt.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

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