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Schumacher, Heinz

Heinz Schumacher wurde 1951 in Herten/Westf. geboren und lebt heute in Dinslaken und Berlin. Er unterrichtete viele Jahre als Gymnasiallehrer die Fächer Deutsch, Geschichte und Philosophie und war Lehrbeauftragter im Fachbereich Germanistik an der Universität Duisburg-Essen. Wenn er nicht gerade in Berlin die reichhaltigen Angebote des dortigen Kulturlebens nutzt, arbeitet er in Dinslaken an seinen eigenen Texten oder beschäftigt sich mit literaturwissenschaftlichen Fragestellungen.

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Interview mit Heinz Schumacher zu seinem Buch »Zwischen Emscher und Paschenberg«

Lieber Herr Schumacher, Sie haben Ihre Kindheit und Jugend in den 50er und 60er Jahren im Ruhrgebiet – genauer – in Herten verbracht. In Ihrem gerade erschienenen Buch Zwischen Emscher und Paschenberg erinnern Sie sich an diese Zeit. Was erwartet die Lesenden?

Heinz Schumacher: Das Buch enthält einen durchaus subjektiven Rückblick auf die beiden ersten Jahrzehnte meines Lebens. Es ist aber keine chronologisch erzählte Autobiografie, sondern eine Sammlung von Erinnerungssplittern, die sich, so hoffe ich, wie eine Art Mosaik zu einem komplexen Bild der damaligen Lebensverhältnisse zusammenfügen. Ich glaube, vieles von dem, was ich erlebt habe, kann in gewisser Hinsicht als zeittypisch gelten. So werden ältere Leser manches aus ihrem Leben wiedererkennen und sich vielleicht veranlasst fühlen, auch noch einmal genauer über die eigene Vergangenheit nachzudenken. Jüngere Leser erhalten Einblick in Lebensbedingungen, die sich fundamental von ihren unterscheiden, obwohl nur gut 50 Jahre seitdem vergangen sind.

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Die Rückblenden in Ihrem Buch werden durch Reflexionen ergänzt, in denen Sie sich mit den Phänomenen »Erinnerung und Zeit« befassen. So lautet der erste Satz: »Die Zeit war am Anfang nichts anderes als ein unermesslich großer, ja unendlicher Raum, in dem man sich ahnungslos bewegte.« Warum ist die Auseinandersetzung mit dem Thema »Erinnerung« in Ihren Augen so wichtig?

H. S.: Man sollte sich, so meine Überzeugung, darüber im Klaren sein, dass das Erinnern in jedem Fall ein problematischer Vorgang ist. Das Erinnern kann nie auf eine exakte Rekonstruktion des Vergangenen hinauslaufen. Dem Erinnerten ist immer auch das Moment des Fiktiven beigemischt. Wenn wir uns erinnern, beginnen wir zu erzählen, das heißt für mich, dass wir einzelne Momente des Vergangenen, das können durchaus belastbare Fakten sein, zu einer Geschichte verweben und dabei Zusammenhänge herstellen, die unter Umständen eher unserer Fantasie entstammen, als dass sie im strengen Sinne beweisbar wären. Die Geschichte unseres Lebens ist wie ein Entwurf, an dem wir erzählend fortlaufend weiterarbeiten. Im Lichte neuerer Ereignisse erscheinen uns Momente der Vergangenheit plötzlich anders, was wiederum Einfluss hat auf das, was wir als unsere Lebensgeschichte erinnernd erzählen.

Wer bei der Lektüre Ihres Buches einen nostalgisch-wehmütigen Rückblick auf alte Zeiten im klassischen Ruhrpottgewand erwartet, wird enttäuscht. Haben Sie sich bewusst gegen die Bedienung dieser Klischees entschieden?

H. S.: Es ging mir in der Tat nicht darum, nostalgische Schönfärberei zu betreiben. Die Tatsache, dass das vorliegende Buch auch eines über eine Stadt im Ruhrgebiet geworden ist, hat seine eher zufällige Ursache darin, dass ich gerade dort geboren wurde und die beiden ersten Jahrzehnte meines Lebens an diesem Ort verbracht habe. Ich glaube, dass ich mit meinem Buch zunächst einmal eine Art Aufräumarbeit für mich geleistet habe. Wenn man im Pensionsalter angelangt und nicht mehr dem alltäglichen Stress ausgesetzt ist, drängt sich Vergangenes wieder mehr ins Bewusstsein, und dem habe ich mit diesem Buch nachgehen und eine Form geben wollen. Ob die Sprache dann eher von Wehmut zeugt, ob der Text mit der Vergangenheit abrechnen will oder ob sich der Schreiber um eine nüchterne oder bisweilen lakonische Form der Darstellung bemüht, hängt sicherlich mit den Erfahrungen in der Vergangenheit, aber auch mit dem Temperament des Schreibers zusammen.

In Ihrem Buch treffen die Lesenden auf viele für die Region typische Orte, Menschen und Eigenarten. So spielt die Hertener Stadtbibliothek ebenso eine Rolle, wie das Gymnasium, die Vestischen Straßenbahnen, Alfons Lütkoff, die Brieftaubenzucht, der Steinkohlenbergbau, Egon Kordts, um nur einige zu nennen. Welche Orte und Menschen prägten Sie – abgesehen von Ihrer Familie – in dieser Zeit am meisten?

H. S.: Prägend war, wenn man von der eigenen Familie absieht, die Schule, und das gilt insbesondere für die späten Jahre auf dem Gymnasium. Der bereits erwähnte Alfons Lütkoff als Kunstlehrer war sicherlich wichtig, insbesondere aber der Klassenlehrer der letzten vier Schuljahre, Fritz Rudolph, der neben meinem Vater meine Liebe zur Literatur ausgelöst hat. Lesestoff habe ich mir als Schüler aus der Stadtbücherei Herten besorgt. Neben der Vielzahl von Unterrichtslektüren habe ich damals recht unsystematisch gelesen, in der Hauptsache aber historische Romane und auch Unterhaltungslektüre, z.B. die Romane von Johannes Mario Simmel, einem bis heute weit unterschätzten Autor, sowie zeitgenössische Dramen. Prägend war aber auch die Musikszene der damaligen Zeit mit der Recklinghäuser Festlandhalle als Zentrum.

Eine letzte Frage noch: In Ihren Anmerkungen steht, dass Sie für dieses Buch einige Zeitgenossen, z.B. den ehemaligen Hertener Bürgermeister Willi Wessel interviewt haben. Ohne zu viel verraten zu wollen: Gab es dabei auch unerwartete Einblicke?

H. S.: Bald nach Beginn der Arbeit an diesem Buch zeigte sich, dass ich mich an vieles nur ungenau erinnern konnte. Um nicht gänzlich der Fantasie das Feld zu überlassen, kam ich auf die Idee, Zeitgenossen von damals zu befragen, um dadurch meiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen. Es gab nur wenige Personen, die auf meine Anfrage für eine Gespräch gar nicht oder ablehnend reagierten. Die meisten vereinbarten gerne einen Termin mit mir. Alle Gespräche fanden in einer ausgesprochen freundlichen und entspannten Atmosphäre statt und vertieften, ergänzten oder korrigierten meine eigenen Erinnerungen. Manch ein Gesprächspartner verfügte noch über Fotos und diverse Dokumente aus der damaligen Zeit; in einem Falle konnte ich sogar in ein umfangreiches Privatarchiv Einblick nehmen. Andere gaben Anekdoten zum Besten, die mir gänzlich unbekannt waren oder die manche Persönlichkeit der damaligen Zeit in einem kritischen und wenig vorteilhaften Licht erscheinen ließen. Um der gebotenen Diskretion willen sind auch nicht alle Informationen, die ich in solchen Gesprächen erhalten habe, in dieses Buch eingeflossen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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