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Diethe, Jürgen

Jürgen Diethe wurde 1947 in Bad Harzburg geboren und hat in Göttingen Anglistik und Geschichte studiert, 2006 in Politikwissenschaft promoviert. Er lebt seit 1976 in Großbritannien, zunächst in London und seit 2001 in Schottland nahe Inverness. Er war lange Zeit beim BBC World Service, vor allem in der deutschen Abteilung, als Journalist und Sprecher tätig, außerdem im Wirtschaftsfernsehen und zuletzt bis zum Ruhestand 2015 im Sportfernsehen.
Er ist Autor zahlreicher Bücher; im ATHENA-Verlag sind »Golfheroen« und »Der erste Journalist« sowie die Gedichtbände »Der Gesang des Igels unter den Rädern« und »Die alten Drachen« erschienen.

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Die alten Drachen

Interview mit Jürgen Diethe zu seinem Buch »Die alten Drachen«

Lieber Herr Diethe, Sie sind gelernter Politikwissenschaftler, arbeiteten viele Jahre als Journalist in Rundfunk und Fernsehen und haben mehrere Sachbücher zu historischen Themen veröffentlicht. Nun ist nach »Der Gesang des Igels unter den Rädern« Ihr zweiter deutschsprachiger Lyrikband erschienen. Wie würden Sie Ihn beschreiben?

Jürgen Diethe: Mein erster Band deckte einen größeren Zeitraum ab, in dem ich die Gedichte geschrieben hatte, bis zurück in die 70er Jahre. Damit ist dieser zweite Band stilistisch wenn auch nicht unbedingt anders, aber doch einheitlicher. Auch thematisch ist er konzentrierter, mehr politische Gedichte im weitesten Sinn und mehr Naturgedichte, spezifisch bezogen auf die Jahreszeiten. Die Politik hat sich m. E. in den letzten Jahren bedrohlich entwickelt, und es war unvermeidlich, daß sich das widerspiegelt. Und die Natur? Ich bin jetzt zwar schon relativ lange in Schottland, in einem kleinen Städtchen am Meer, aber ich meine, daß sich die Beziehung in den letzten Jahren eher vertieft hat. Sicher hat mein fortschreitendes Alter den Wandel mir auch beunruhigend näher gebracht …

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Seit 2001 leben Sie in Schottland und bis vor kurzem auch in London. Inwiefern hat sich der Brexit auf Ihr Leben ausgewirkt?

J. D.: Da ich seit 1976 in GB lebe, habe ich das Auf und Ab der britischen EU-Mitgliedschaft sozusagen aus erster Hand miterlebt. Es liegt mir am Herzen: ich bin alt genug, um das alte europäische Ethos noch zu spüren – ich fühle mich zwar noch als Deutscher, aber mehr noch als europäischer Patriot. Die europäische Idee hat man in GB nie so richtig begriffen, es ging hier immer mehr um Wirtschaft und Immigration. Brexit war ein schwerer Schlag, aber mehr emotional als praktisch. Alte Kollegen von mir bei der BBC haben in England zum Teil schlechte Erfahrungen gemacht, ich hier in den Highlands nicht. Die EU ist hier hoch geschätzt, und in Fortrose kenne ich nur einen, der wahrscheinlich für Brexit gestimmt hat. In England würde ich nicht mit einer EU-Fahne im Auto parken wollen!

Wenn ich an Schottland denke, habe ich sofort Bilder von zerklüfteten, grünen Küstenstreifen, Männern in Kilts, Whisky und Loch Ness im Kopf. Was ist Ihr Schottland und findet es sich in Ihren Texten?

J. D.: Zu den klassischen schottischen Traditionen wahre ich schon einen gewissen Abstand, das heißt aber nicht, daß ich nicht mitmache, Burns Night zum Beispiel, auch Aspekte der schottischen Geschichte – so habe ich Bücher über die Pikten und über Somerled (12. Jh.) geschrieben (auch auf Englisch). Aber die Landschaft hat auf mich eine besonders starke Wirkung, was sich auch in vielen Gedichten niederschlägt. Britisches Berg- und Moorland ist so ganz anders als Deutschland, was mich schon bei meinem ersten Besuch 1970, damals in Wales, angerührt hat. Es hat mich bis heute nicht losgelassen. Im Augenblick ist das Leben nicht leicht, vor allem der Zustand meiner Frau (Demenz). Es ist da sehr tröstlich, daß die Kommune hier einzigartig ist, freundlich, hilfreich, solidarisch. Ich glaube, das ist mehr als nur eine Funktion der kleinen Bevölkerung.

Was treibt Sie an? Gibt es für Ihr Schreiben besondere Auslöser bzw. woher nehmen Sie den »Stoff« für Ihre Texte?

J. D.: Ich gehe davon aus, daß meine Schreibweise einigermaßen ungewöhnlich ist. Ich laufe nicht mit einem Gedicht im Kopf herum – oft setze ich mich hin mit der Absicht, etwas zu schreiben. Mir fällt nicht immer etwas ein. Aber oft kann ich etwas aus dem Hinterkopf kramen, zuweilen fange ich auch nur mit einer Zeile an und baue dann etwas aus, wobei der Weg, der mir vorschweben mag, oft eine ganz andere Richtung einschlägt. Der Grund dafür liegt darin, daß ich tendenziell assoziiere, mich mit Bildern durch das Gedicht pirsche. Um einen Fluß zu finden, muß das schnell gehen. Ich bin kein Tüftler, die meisten Gedichte brauchen nicht mehr als 15, 20 Minuten, wonach ich am Ende auch nicht mehr viel ändere. Da gibt es eigentlich kaum Unterschiede, ob ich nun auf Deutsch oder Englisch schreibe, zahlenmäßig ist das ungefähr 50:50.

Haben Sie literarische Vorbilder?

J. D.: Diese Frage zu beantworten, fällt mir schwer. Ich habe in den letzten Jahrzehnten nur relativ wenige deutsche Gedichte gelesen und zuletzt überhaupt nur ganz wenige. Unter den gegebenen Umständen habe ich sehr wenig Zeit. Wenn ich einen deutschen Namen nennen sollte, habe ich immer an Ingeborg Bachmann gedacht. Aber so ganz stimmt das auch nicht. Im Englischen kehre ich gern zu Marvell zurück oder zu den Romantikern – aber sind das Vorbilder oder Einflüsse? Vielleicht doch nicht.

 Ihr Schreibstil ist ausgesprochen bildhaft. Ganze Szenerien steigen da aus wenigen Zeilen empor und schaffen einen schon beinah filmischen Effekt. Können Sie das erklären? Haben Sie für das Fernsehen auch Drehbücher geschrieben, oder könnten Sie sich vorstellen das zu tun?

J. D.: Meine Gedichte waren eigentlich von Anfang an ziemlich bildhaft. Erklären kann ich das nicht, vielleicht hat es etwas mit meinem assoziativen Denken zu tun. Ihre andere Frage: Drehbücher involvierte meine Arbeit beim Fernsehen nicht, ich könnte es mir auch nicht vorstellen. Ich habe in Radio und Fernsehen immer geschrieben, es waren aber durchweg Sachprogramme, Nachrichten, Politik, Sport. Ich könnte mir auch zum Beispiel nicht vorstellen, einen Roman zu schreiben, das steckt einfach nicht in mir.

 Was steht auf Ihrem Schreibtisch? Woran arbeiten Sie gerade?

J. D.: Mein Schreibtisch, muß ich zugeben, ist ziemlich chaotisch. Ich arbeite aber, wenn auch aus gegebenen Gründen ausgesprochen langsam, an einem weiteren Buch über die englische Revolution, einem eher altmodischen Projekt mit Essays über Persönlichkeiten und Bewegungen. Immerhin: wenn ich einmal etwas schreibe, geht es ziemlich schnell. Es geschieht nur nicht oft genug.

Was möchten Sie zum Abschluss unseres Gesprächs noch sagen?

J. D.: Zum Abschluß will ich noch sagen, daß es mir angesichts meines wohl eher unkonventionellen Produktionsverfahrens schwer fällt, mich wirklich ernst zu nehmen! Aber zur zweiten Division der Lyrikliga will ich mich schon rechnen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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